Die Wahl des geeigneten Prozessmodells und einschränkender Annahmen bei dessen Formulierung ist eine Aufgabe mit verschiedenen möglichen Lösungen. In Teilen bestehende Lücken im Prozessverständnis verstärken diese konzeptionellen Ungewissheiten (Kiszkurno et al., 2024). Durch die Wahl unterschiedlicher Stoffmodelle werden auch unterschiedliche Parametersätze relevant, die je nach experimenteller Datenbasis in unterschiedlichem Ausmaß von Ungewissheiten betroffen sein können.
Ungewissheiten in Bezug auf die Materialeigenschaften (thermisch, hydraulisch, mechanisch und chemisch) der technischen Komponenten, die für die Isolierung des Endlagersystems verwendet werden, d.h. das EBS (Engineered Barrier System, mit Behältern, Verfüllung, zementären Verstärkungen, Verschlussbauwerken für Strecken und Schächte usw.).
Ungewissheiten, die auf den Eigenschaften und dem physikalischen Verhalten der nuklearen Abfallquelle basieren, z.B. Konzentration, Zusammensetzung (Elemente und Isotopen), Aktivität, Abklingzeiten. Mit dem Atomausstieg sind Menge und Zusammensetzung der endzulagernden HAW Abfälle (highly active waste) in Deutschland vergleichsweise gut prognostizierbar.
Ungewissheiten bezüglich der petrophysikalischen und chemischen Eigenschaften der Wirtsgesteine einschließlich der räumlichen Variabilität auf allen Skalen sowie der geometrischen Eigenschaften der Formationen selbst. Dies beinhaltet analytische Ungewissheiten und Feldbeobachtungsfehler sowie Ungewissheiten im Zusammenhang mit der Übertragung einiger erfasster Daten von einem Standort auf einen anderen Standort (oder sogar ein ähnliches Wirtsgestein). Typische Adressaten sind hier die mineralogische Zusammensetzung, zugängliche Wegsamkeiten inklusive Konnektivität und Öffnungsbreiten, die effektiven Oberflächen, Porosität, Permeabilität etc.
Ungewissheiten im Zusammenhang mit der experimentellen Beobachtung intrinsischer, d.h. von einem bestimmten Standort unabhängiger, physikalisch-chemischer Eigenschaften. Beispiele sind die Thermodynamik und Kinetik für Teilsysteme eines Endlagersystems. Bei der Bewertung von Ungewissheiten im Bereich der Geochemie sind mehrere Kategorien zu diskutieren: (1) Aquatische Speziation, (2) Festphasen, und (3) Oberflächenspeziation. In hochsalinaren Umgebungen spielen zudem die Aktivitäten als Funktion der Ionenstärke eine Rolle.
Ungewissheiten durch Upscaling vom Labormaßstab, sowohl in der Zeit als auch im Raum. Typischerweise ist die maximale Zeitspanne, die für Laborbeobachtungen zugänglich ist (einige Jahrzehnte), sehr kurz im Vergleich zu den sehr langen Zeiträumen, die im Rahmen der Endlagerung zu bewerten sind. Kritische Aspekte sind hier die langsamen Kinetiken der Mineralumbildungen in der Umgebung eines Endlagers oder der Transfer von Aussagen aus der molekularen Skala (z.B. zu reaktiven Oberflächen) auf die Dimensionen eines Endlagers. Ähnliche Einschränkungen gelten für die experimentelle Zugänglichkeit großskaliger Phänomene. Selbst untertägige Forschungslabore bieten hier nur wenige Dutzende Meter an. Nur natürliche und anthropogene Analoga[1] lassen direkte Rückschlüsse auf noch größere zeitliche und räumliche Skalen zu.
Großskalige Ungewissheiten, die durch sich veränderte geodynamische und klimatische Prozesse und deren intrinsische Entwicklung hervorgerufen werden. Typische Szenarien z.B. zukünftiger Klimaentwicklungen sind Vergletscherung oder Transgression (bspw. Meeresspiegelanstieg). Da hier die Diskussion alternativer Szenarien jedoch ein gängiger Ansatz ist, sind die nachfolgenden Ausführungen hierfür nicht anwendbar.
[1] Durch den Menschen geschaffene Strukturen (z.B. römische Hafenanlagen, geflutete Bergwerke etc.), welche die Untersuchung geologischer und geochemischer Sachverhalte zumindest auf der Zeitskala bis maximal 3000 Jahre gestatten
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