Frank Bok1 und Vinzenz Brendler1
1 Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf e.V.
Jegliche thermodynamische Modellierung stützt sich auf eine wissenschaftlich fundierte Grundlage, die erheblich zur Glaubwürdigkeit langfristiger Vorhersagen bei der Sicherheitsbewertung beiträgt. Dies gilt ganz besonders im Zusammenhang mit der Endlagerung nuklearer Abfälle. Die dort essentiellen geochemischen Modellierungen sind stark von den eingesetzten thermodynamischen Daten abhängig. Unterschiede in den Datensätzen verschiedener Modellierungen führen zwangsläufig zu unterschiedlichen Resultaten, deren Interpretation schwierig oder unmöglich ist - insbesondere, wenn diese Berechnungen zudem mit unterschiedlichen geochemischen Rechenprogramme (Codes) durchgeführt wurden. Dies kann sich besonders drastisch auswirken, wenn einzelne gelöste Spezies oder Mineralphasen in einem der Datensätze fehlen. Aus diesem Grunde ist die einheitliche Verwendung von qualitätsgesicherten Referenzdaten von allen Institutionen, welche mit thermodynamischen Daten und Modellierungen an der gleichen Thematik arbeiten, unabdingbar.
Das vorliegende Kapitel befasst sich mit den Prinzipien digitaler thermodynamischer Datenbanken (TDB) im speziellen Kontext der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle. Mithin liegt der Fokus auf der Auswahl und Speicherung allgemeingültiger (invarianter), standortunabhängiger Daten; dies meint thermodynamische Größen wie Enthalpien, Entropien, Reaktionskonstanten, Wärmekapazitäten sowie Aktivitätsmodell-spezifische Parameter. Thermodynamische Daten sind formal systemunabhängig und allgemeingültig innerhalb ihrer sich aus den Messbedingungen ergebenden Gültigkeitsbereiche und dem verwendeten Aktivitätsmodell. Sie sind bei Standardbedingungen (T = 298,15 K, p = 0,1 MPa, unendliche Verdünnung, siehe Abschnitt „Modelle für wässrige Systeme“ ) gültig und bei Vorhandensein von parametrisierten Temperaturfunktionen auch über Temperaturbereiche hin anwendbar. Hier sei noch einmal explizit darauf hingewiesen, dass das vorliegende Dokument Prozesse an Mineral-Wasser-Grenzflächen nicht abdeckt, aber entsprechende Modelle für Sorption und Ionenaustausch genau von den hier diskutierten Daten für die wässrige Chemie abhängen.
Neben der Speicherung der Daten wird auch die interne Konsistenz der Datensammlung, interne Umrechnung anhand thermodynamischer Gesetzmäßigkeiten, sowie der Export in die spezifischen Formate der gewünschten Codes behandelt.
Andere standortunabhängige Daten (z.B. Festigkeitsparameter für Stähle, Verfüll- und Baustoffe etc.) sind prinzipiell ähnlich handhabbar, stehen jedoch nicht im Fokus dieses Kapitels. Explizit nicht abgehandelt wird die Speicherung und Verarbeitung ortsspezifischer Daten. Einige der beschriebenen Prinzipien sind auch auf solche Daten anwendbar, gleichzeitig sind zusätzlich zu speichernde Geodaten (und ggf. zeitabhängige Informationen) unabdingbar. Gänzlich anders zu behandeln sind intrinsische Heterogenitäten (wo also vielfache Messungen keine Reduktion der Varianz ergibt) wie z.B. die mineralogische Zusammensetzung geologischer Domänen oder deren Kluftstrukturen sowie Methoden zur Datenabschätzungen bei Messdatenlücken (Inter- bzw. Extrapolationsverfahren).
Momentan wird lediglich für hochsalinare Systeme eine thermodynamische Referenzdatenbank unter Ägide der BGE entwickelt wird (THEREDA - Moog et al., 2015). Für andere Anwendungsfälle wurden bisher keine Entscheidungen getroffen bzw. Aktionen eingeleitet, um einheitliche, verbindliche Referenzdaten in einer zentralen TDB zur Verfügung zu stellen. Hierbei ist die Verbindlichkeit durch die entsprechenden regulatorischen Behörden festzusetzen. Dies ist klar im Gegensatz zu anderen Staaten mit nationalen Endlagerprogrammen, z.B. Schweiz, Frankreich, Belgien, UK, Schweden, Finnland, Korea, Japan. Das Ziel muss daher sein, auch in Deutschland entsprechende Referenzdatenbanken aufzubauen. Wobei die vorliegenden internationalen Arbeiten eine sehr gute Ausgangsbasis darstellen.
Vergleichbar ist die Situation bei kinetischen Daten, mit denen die zeitliche Abhängigkeit von chemischen Reaktionen beschrieben werden kann, z.B. Parameter für Zeitgesetze zur Beschreibung von Reaktionsraten. Erschwerend kommt jedoch hinzu, dass es hier unterschiedliche Modellansätze gibt, wobei sich in der wissenschaftliche Community noch kein quasi-Standard-Modell etabliert hat. Dies hat bisher die Erstellung von Referenz-Datensätzen für Kinetik-Daten in größerem Umfang verhindert. Hier sind für die Belange der Langzeitsicherheitsanalyse sicher pragmatische Ansätze zu favorisieren, welche für die durch Kinetik dominierte Reaktionen entweder direkt Spezialmodelle aus der Literatur übernehmen und/oder empirische Ansätze wie den von (Palandri & Kharaka, 2004) nutzen.
Aktivität: die Aktivität (α) ist ein Maß für die "effektive Konzentration" einer Spezies (i) in einer Phase (z.B. Na+ in einer wässrigen Lösung) in dem Sinne, dass das chemische Potenzial der Spezies von der Aktivität einer realen Lösung in derselben Weise abhängt, wie es bei einer idealen Lösung von der Konzentration abhängen würde. Die Aktivität einer Spezies lässt sich mittels des Aktivitätskoeffizienten (γi) mit dessen Konzentration (ci) in Verbindung setzen:
αi = γi · ci
Feste Lösung (Solid Solution): eine feste Lösung beschreibt Materialien, die bei einheitlicher Kristallstruktur eine variable Zusammensetzung (z. B. AxB1-x) aufweisen.
Master-Spezies: eine Master-Spezies bezeichnet die primäre Spezies pro Element, aus der über Reaktionen alle anderen Verbindungen dieses Elements aufgebaut werden. Es darf außer dem Element selbst nur noch Sauerstoff und Wasserstoff enthalten. Es können pro Element verschiedene, zu einander alternative Master-Spezies definiert werden, aber pro Rechnung kann nur jeweils eines pro Element benutz werden. Kann ein Element in verschiedenen Oxidationsstufen auftreten, können pro Oxidationsstufe je eine weitere Master-Spezies (sekundäre Master-Spezies) definiert werden, um so Redoxreaktionen entkoppeln zu können. Dabei sollten sich alle Verbindungen dieses Elements derselben Oxidationsstufe aus der zugehörigen sekundären Master-Spezies bilden um Inkonsistenzen bzw. zirkulären Logik zu vermeiden.
Phase: eine Phase ist ein stoffliches Kontinuum, in dem die Materialeigenschaften und chemische Zusammensetzung homogen sind. Dies sind z.B. feste Minerale einer chemischen Prinzipien folgenden Zusammensetzung, eine Lösung oder eine Gasmenge. Eine Phase kann ein oder mehrere Arten von chemischen Spezies enthalten.
Phasenkonstituenten: phasenkonstituenten sind chemische Spezies bzw. Verbindungen innerhalb einer Phase. Reine Phasen (z.B. Minerale, etwa Halit: NaCl(cr)) enthalten grundsätzlich nur einen Phasenkonstituenten, bei Mischphasen (Gasphasen, wässrige Lösung, feste Lösungen) sind hingegen meist mehrere Phasenkonstituenten involviert.
Spezies: eine chemische Spezies ist ein chemischer Stoff oder ein Ensemble aus chemisch identischen molekularen Einheiten.
Reaktionen: eine Reaktion beschreibt die Umwandlung einer oder meist mehrerer Spezies in eine oder mehrere andere, chemisch verschiedene Spezies. Die Umwandlung der beteiligten Spezies erfolgt dabei (zumeist) unter Einhaltung ganzzahliger stöchiometrischer Verhältnis-Koeffizienten. Die Bildung einer chemischen Spezies kann praktisch oft auf einer Vielzahl chemischer Wege erfolgen, in einer thermodynamischen Datenbasis darf für jede Spezies jedoch nur eine Reaktion hinterlegt sein.
Thermodynamische Datenbasis (TDB): eine thermodynamische Datenbasis ist eine Sammlung thermodynamischer Daten (Enthalpie, Entropie, Reaktionskonstante, Wärmeleitfähigkeit, Dichte, molares Volumen) für chemische Spezies, welche für eine physikalisch-chemische Beschreibung eines chemischen Systems notwendig sind.
Wechselwirkungsparameter: unter einem Wechselwirkungsparameter versteht man einen numerischen Wert, welcher modellspezifisch zur Beschreibung der Abweichung einer thermodynamischen Größe mit realem Verhalten vom Wert unter idealen Bedingungen dient. Dies sind z.B. Ionenwechselwirkungsparameter der Specific Ion-Interaction Theory (SIT) bzw. des Pitzer-Aktivitätsmodells oder Exzessgrößen für Modelle fester Lösungen.
Die vorliegende Arbeit wäre nicht entstanden ohne die Initiative seitens der Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE), in persona Wolfram Rühaak, welcher auch viele wertvolle Anregungen zum Text selbst gab, und die tatkräftige Unterstützung seitens Thomas Nagel (TU Bergakademie Freiberg).